Schlagwort: Jörg S. Gustmann

Bücher der letzten Monate

Gelegentlich kaufe ich Bücher und lese sie und gelegentlich blogge ich dann darüber.

Rassenwahn
Ich bin eigentlich keine Krimileserin. Wenn hingegen zeitgeschichtlicher Content hinzukommt, dann gibt es für mich kein Halten mehr. Wenn man seinen Zeitgeschichtskrimi dann Rassenwahn nennt, hat man mich. Wenn man mich dann aber länger bei der Stange halten möchte, dann sollte man weitaus mehr zu bieten haben als Jörg S. Gustmann, seines Zeichens Dortmunder Zahnarzt. Die Geschichte ist auf ihren 567 Seiten derart konstruiert zusammengekleistert, dass mir nach 100 Seiten die Lust verging und ich das Ganze in Schnell-Lese-Manier durchratterte. [ACHTUNG, Spoiler!]: Ich halte es für relativ unwahrscheinlich, dass Mitglieder der Waffen-SS, die sich im Lebensborn austoben, eine jüdische Großmutter verheimlichen konnten. Bzw. wenn sie das konnten, dann frage ich mich, warum es 2012 plötzlich sehr einfach zu beweisen ist. 95% der handelnden Personen sind dermaßen überzeichnete Klischees, dass es weh tut. Dazu kommt der Abklatsch von Lisbeth Salanders Bruder (der reinzufällig im Keller eines Hamburger Wohnhauses Polizisten abschlachten will), der mordend für NS-Kriegsverbrecher (die jahrelang unbehelligt in Hamburger Altersheimen im Sauerstoffzelt vor sich hinvegetieren konnten) durch die Gegend zieht.
Jörg S. Gustmann, Rassenwahn, Gmeiner, ISBN 978-3-8392-1332-2, 12,90 EURO (oder Sie ziehen es sich ab heute Abend aus dem Bücherschrank in Endenich beim Rex Kino)

Der Friedhof in Prag
Angeblich kann man mit Eco ja nichts falsch machen. Ich fand ihn aber dann doch echt ermüdend. Los geht es irgendwann in den Jahren, da in Europa alles für einen Nationalstaat kämpft, der Adel langsam an Vormachtstellung verliert und ein junger Herr anfängt für einen Geheimdienst tätig zu werden. Weil er Sex unnötig findet, isst er lieber und beteiligt sich dann an fast allen wichtigen europäischen Geschichtsereignissen der folgenden Jahre, immer im Hintergrund, immer mit zweifelhaftem Auftrag und immer recht böse. Es geht um Freimaurer, Juden und Verschwörungstheorien und am besten liest man das Ganze während man Wikipedia geöffnet hat (weswegen man dieses Buch niemals lesen sollte, wenn man Urlaub im Funkloch macht). Was es mit diesem Friedhof in Prag auf sich hat, kann man sich vielleicht schon denken. Ich fand das Ganze etwas zu gewollt, zu überladen und zu sehr voller Koinzidenzen, aber Herr Eco hat mich auch letztes Jahr bei einer Hausarbeit arg gequält.
Umberto Eco, Der Friedhof in Prag, Hanser, ISBN 978-3446237360, 26,00 EURO.

Die Akte Vaterland. Gereon Raths vierter Fall
Der vierte Fall von Herrn Rath. Auch hier wieder mal ein zeitgeschichtlicher Krimi, nur, dass die Handlung im Jahr 1932 stattfindet. Dieses Mal geht es um jemanden, der in einem Aufzug ertrunken ist. Gereon Rath ist zur Zeit meine Lieblingsromanfigur und ich habe sehnsüchtigst zwei Jahre darauf gewartet, dass er zurückkehrt. Das Berlin von 1932 von Volker Kutscher gefällt mir recht gut. Und sehr gut finde ich auch die rauchende Frauenfigur, die genau weiß, was sie will und die gelegentlich an die Gegebenheiten der Zeit stößt. Charly Ritter will nämlich eigentlich gerne Kriminalkommissarin werden, aber Frauen dürfen 1932 bei der Berliner Polizei nur Mädchengangs verfolgen. Zur Geschichte selbst: der Kriminalfall selbst reizte mich nicht besonders, was daran liegt, dass Kutscher relativ früh ein paar zu viele Hinweise gibt, anhand derer sich doch einiges erschließen lässt, man weiß zwar nicht ganz genau, wie der Mörder heißt, aber wer er ist schon. Dafür hat es die Wendung am Ende aber noch mal in sich. Die Karl May Anleihe hätte meiner Meinung nach auch nicht sein müssen, war jetzt aber auch nicht besonders störend. Gereon Rath würde ich jedem ans Herz legen, der die Weimarer Republik in Berlin kennen lernen will, dann aber bitte mit “Der nasse Fisch” anfangen.
Volker Kutscher, Die Akte Vaterland. Gereon Raths vierter Fall, Kiepenheuer & Witsch, ISBN 978-3462044669, 19,99 EURO.