Herr Hahn

Und dann wirste alt. Und wenn de alt wirst, dann hast du auf einmal die Zeit, die du als Zwanzigjähriger gerne gehabt hättest. Nur leider haben sich deine Prioritäten verschoben. Statt das zu tun, wovon man mit zwanzig nie genug bekommen konnte (Rauhfasertapete anstarren, jeden Stachel einzeln aus dem Kaktus zupfen oder einfach mal ausgiebig die Fußnägel schneiden), sitzte vorm Fenster und bespuckst kleine Kinder. Verklagst den Kindergarten fünf Straßen weiter, weil du die Stille Post spielenden Kinder durch dein neu eingestelltes Hörgerät besonders gut hören kannst und Kinderflüstern ist wirklich unerträglich, ich kann dich verstehen.

Vor Gericht verlierst du aber leider, weil die Richter nicht auf der Höhe der Zeit sind und nicht erkannt haben, dass die Gesellschaft an Progerie leidet. Du bist ein Trendsetter, die ZDF-Fernsehgarten-Avantgarde. Du bist Deutschland. Das hast du erkannt und wo sonst kannst du das besser unter Beweis stellen als dort, wo die zukünftige deutsche Elite herangezüchtet wird: die Universität. Altersmilde wie du bist, schickst du dich an, den jungen Deutschen, die nie Not und Leid oder Wilhelm zwo kennenlernten, zu zeigen, wo der Hase im Pfeffer liegt.

Dazu schreibst du dich wieder dort ein, wo du mit Mitte zwanzig weggeheiratet wurdest. Weil du mit deinem Leben und deinem Diplomingenieursstudium ja etwas anständiges studiert hast, suchst du jetzt etwas, was dein Hirn vor der Verkalkung, ausgelöst durch Kinderflüstern, schützt. Deswegen setzt du dich bevorzugt in Theologie-, Kunstgeschichts- oder Geschichtsvorlesungen. Theologie scheint dir besonders dafür geeignet, herauszufinden, was demnächst auf dich zukommt. Wen interessiert schon Asienwissenschaft oder anderer neumodischer Kram, der an die Uni drängte als du sie verlassen hast.

Regelmäßig blockierst du zum Schutze der jungen Elite die Cafeteria, schließlich soll diese lernen und sich nicht mit Koffein und anderen legalen Drogen vollpumpen, außerdem ist der Kuchen da so günstig und der Tee erst. Seit geraumer Zeit hast du jedoch die Servicekräfte im Verdacht, dir Abführmittel unterzurühren. Und außerdem sind die Stühle in der Cafete bequem. Weil es immer mehr von deiner Sorte gibt, hast du bald so etwas, was die jungen Leute ihre Hood nennen (du grübelst heute noch, wo der Sheriff von Nottingham abgeblieben ist).

In jeder Vorlesung habt ihr ein gut funktionierendes System, das die jungen Menschen lehrt, wo man anzufangen hat: auf dem Boden der Tatsachen. Der ist in diesem Fall besonders symbolisch gelungen, denn die jungen Menschen müssen während der Vorlesung auf dem Boden sitzen, während ihr euren faltigen Hintern auf den Thron der Wissenschaft hievt. Dann wird das Hasenbrot ausgepackt, sämtliche Tageszeitungen, die am morgen euren Briefkasten verstopft haben und die Lesebrille (man ist ja eitel). Gelegentlich checkt ihr auch, ob euer Nachbar noch atmet.

Dann hört ihr kopfschüttelnd zu, was dieser Jungspund vorne am Rednerpult, der sich auf seinem Beamtenposten ausruht, den ihr finanziert, für einen ausgemachten Mist von sich gibt. Weil ihr das nicht länger ertragen könnt, fangt ihr an mit eurem Nachbarn zu quatschen. Durftet ihr ja damals in der Schule nicht. Gelegentlich werdet ihr euch dem Grund, warum ihr in diesem Hörsaal sitzt, bewusst: Studentenflüstern ist noch schrecklicher als Kinderflüstern. Erzieherische Maßnahmen sind von Nöten, ihr überlegt sogar den jungen Leuten um euch herum ihre neumodischen Schreibmaschinen abzunehmen, doch dann erblickt ihr die Sudoku-Seite eures Bildungsbürgertumblattes und seid glücklich.

Aber wehe die Veranstaltung mit dem Nichtsnutz geht dem Ende zu. Eure Superheldenkraft besteht nämlich darin, den Heini da vorne mit Fragen zu demaskieren. Dafür habt ihr jahrelang ZDF Hysterie geschaut, interessante Artikel eurer Bildungsbürgerblätter akribisch ausgeschnitten und in den Ordner mit der Aufschrift “Bildung” geklebt. Der Ordner ist mittlerweile ein ganzes Regal, direkt neben der verstaubten Nähmaschine. Los geht’s: ihr feuert ein Fragebataillon ab mit dessen Hilfe die ein oder andere Schlacht der Menschheitsgeschichte anders verlaufen wäre. Um euch herum, wird begonnen zu rebellieren, wie damals diese Generation nach euch.

Irgendwann wird aber auch das zu fad. So steigt ihr ins nächste Level auf. Das Level nennt sich: Seminar. Seminare sind nur den besten unter euch versprochen. Nur der, der seinen Fest, seinen Mommsen gelesen hat und vor der Auswahlkommission von dreien von euch (darunter mindestens ein studierter Jurist!) bestanden hat, darf sich trauen sein Wissen in die Welt zu tragen.

Und genau so ein Exemplar ist Herr Hahn. Herr Hahn sitzt in meinem Seminar. Herr Hahn liest in seiner Freizeit alles, was er zum Thema “Wilhelm II.” in die Finger bekommt. Er weiß, wo der feine Herr gerne zu jagen gedachte, dass er ein Medienstar seiner Zeit war, wo er gerne seine Regatta segelte. Kurzum, man könnte meinen, eine Art “Bunte” mit dem Monothema Wilhelm zwo wäre Herrn Hahns Lieblingslektüre. Herr Hahn muss dieses Wissen natürlich lang und breit ausschütten, den unwissenden habilitierten Menschen, der sich anschickt, die Jugend zu verderben, korrigieren und als der seine 8 Bücher, die dem zu behandelnden Thema vielleicht nützlich sein könnten, eingepackt hat, da dreht Herr Hahn erst richtig auf.

Während erste Studenten schon überlegen, ob sie diesen Kurs wirklich machen können und wieviel man den Servicekräften in der Cafete zahlen muss, damit sie extra viel Abführmittel in den Tee von Herrn Hahn kippen, schmeißt Herr Hahn mit Büchern um sich. Er muss in der Frühe eine Sackkarre gepackt und sie über vier Kilometer durch Bonn gezogen haben. Aber Herr Hahn hat ja einen Auftrag und der heißt Bildung.

Kommentare

Marco sagt:

Großartig :) … jetzt weiß ich wieder genau was ich im hohen Alter machen werde! :D

wunderbar. und die abneigung gegenüber dem herrn hahn wächst ins unendliche :) das wird ein spannendes semester

P.S. sagt:

Das Schlimme ist … wenn man Hähnen den Kopf abschlägt, dann flattern sie trotzdem noch eine Weile weiter.

Jetzt mußt Du die erste Eskalationsstufe zünden und Herrn Hahn um einen schriftlichen Beitrag bitten, der “im Internet veröffentlicht” würde.

Thema seines Beitrags: Warum studiere ich im Alter noch Geschichte? Wo liegen meine “Forschungsschwerpunkte”? Können die jungen Dozenten und Studenten von den Älteren lernen? Wie gehe ich mit “der Jugend” im Hörsaal um? Was stört mich an dieser studierenden Jugend von heute? Welche Ratschläge kann ich ihnen geben? Und überhaupt: Warum Wilhelm II und nicht Hitler I?

Pack ihn an seiner Schriftstellerehre, wir warten auf einen Essay von Herrn Hahn!!!

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