Blattkritik: Fräulein

Ich lief heute durch die Stadt und weil es regnete blieb ich länger im Kiosk und verweilte vorm Zeitschriftenregal. Ich war auf der Suche nach einer Zeitschrift für Menschen in meinem Alter. Die Ausgaben von NEON dieses Monats (zu vernachlässigen, aber ich kaufe sie mir trotzdem ständig) und von ZeitCampus dieses Quartals (warum bitte erscheint das Ding so selten?) hatte ich schon. Somit gab es im Kiosk nicht mehr viel Auswahl. Mein Blick streifte schließlich das einzig (noch?) vorhandene Exemplar der Zeitschrift “Fräulein”.

Zum Preis von 2 Euro fand ich das Heft schön dick. Außerdem war ich gespannt, was die Redaktion hinter “Angelina Jolie im Blutrausch” verbarg. Also kaufte ich es (kostete auch nur 10 Cent mehr als diese Zeitschriften, die krude Lebens- und noch krudere Sextipps geben und die in erster Linie aus ganz vielen Bildern bestehen, die man sich beim Friseur gerne anguckt.).

Vielleicht hätte ich vorm Kauf vielleicht mal das Selbstverständnis der Zeitschrift nachschlagen sollen. Auch hier also wieder eine schöne starke Konzentration auf “typische Frauenthemen”. Mal ne Geschichte über eine Soldatin in Afghanistan oder keine Ahnung, irgendwas, was nichts mit “neuesten Trends aus Mode (die ich mir in 150% der Fälle mit meinem studentischen Portmonnaie eh nicht leisten kann, aber das haben 100% aller Zeitschriften, deren angebliche Zielgruppe ich bin, nicht verstanden), Kosmetik, Kunst und Musik” (allein schon die Reihenfolge, wtf) zu tun hat. Warum geht das nicht? Und die Frage stelle anscheinend nicht nur ich.

Aber schlagen wir das Fräulein doch erst mal auf. Die ersten zwei Seiten bestehen aus einer Collage an Fotos, wie ich sie mir gerne anschaue, schön alt oder zumindest auf alt getrimmt, ganz auf der Retrowelle schwimmend. Danach folgen sechs Seiten Werbung, ehe mir Götz Offergeld im Editorial verrät, dass es das Fräulein noch gar nicht so lange gibt und dass sich die Leserinnen der Vorgängerausgabe anscheinend am meisten am Namen des Magazins gestört hätten. Aber Offergeld verteidigt:

“Wir haben uns bewusst für den Namen entschieden, da wir uns von dem Einheitsbrei der Frauentitel unterscheiden wollen. Wir finden es gut zu polarisieren und möchten, dass Fräulein für eine neue Generation von emanzipierten Frauen steht.”

Deshalb steht wohl auch Offergelds Name unter dem Editorial dieses hochemanzipatorischen Magazins. Es folgen drei weitere Seiten Werbung, bis dass ich mir anschauen kann, was mich so erwartet. Eine Reportage zum Thema Streetstyle im Jemen, welche Fischarten ich nicht essen sollte, warum Männer nicht schön sein müssen, welche Handtücher ich diese Saison brauche, ein Portrait über Coco Sumner, dass Möbel erst durch die Person, die mit ihnen lebt, Charakter bekommen, warum es kaum männliche Topmodels in Deutschland gibt, warum Angelina Jolie das Anti-Fräulein ist, ein Portrait über eine Frau, deren erstes Merkmal in der Vorstellung ist, dass sie mit den besten Fotografen der Welt zusammenarbeitet, ein Starfotograf, der nach Tschernobyl gefahren ist und warum man Cartier wieder tragen darf.

Blättern wir weiter. Mir werden die Menschen vorgestellt, die an der Ausgabe mitgearbeitet haben, nett designt, stylische Menschen.

Auf den nächsten 4 Seiten wieder Werbung, dann eine Geschichte über eine Designerin, die ursprünglich mal Schreinerin werden wollte. Ihr wurde davon abgeraten, weil sie angeblich zu schwach sei, so der Text. In der fetten Zusammenfassung am Rande des Texts steht “Als Schreinerin war sie körperlich zu schwach”. Danach geht es weiter mit einer Sängerin, die durch ihre Hüftfehlbildung zur Musikerin wurde. Es folgen witzige Empfehlungen für Sachen, die ich mir möglicher Weise wirklich kaufen würde (einige davon sind zu teuer für mich), aber: auf jeder zweiten Seite habe ich hier eine Werbeanzeige. Möglicherweise jammere ich hier auf hohem Niveau, die Qualität des Papiers und die ein oder andere Story würden einen höheren Preis wahrscheinlich rechtfertigen, aber wir befinden uns in der Holzmedienkrise und da darf so ein Blatt nicht zu teuer sein, also mehr Werbung rein (das ist meine Schlussfolgerung).

Dann kommen Sonnenbrillen, zwei Models zeigen mir ihre blanken Brüste und irgendwie sieht’s jetzt aus wie amyandpink in ausgedruckt. Lykke Li, deren Lieder ich mag, wird mir im Interview irgendwie unsympathisch, aber das ist sie vielleicht sogar. Ihre Musik mag ich trotzdem. Vivianne Westwood-Werbung. Ein Bericht über Joan As Police Woman. Sie wird zuerst über ihren Exfreund Jeff Buckley definiert, der ertrank als sie 27 Jahre alt war. Jetzt ist sie 40. Immerhin darf sie sagen, sie fühle sich privilegiert, eine Frau zu sein und auf dem Foto ihre Achselhaare zeigen. Ein Interview mit Marianne Faithfull, interessant.

Make-Up-Fotos von Make-Up mit dem nur die wenigsten auf die Straße gehen würden, aber vielleicht ist das hier noch Kunst und nicht der neueste Trend aus Kosmetik. Ein Interview mit Bibiana Beglau, einer der besten Schauspielerinnen Deutschlands, die ich nicht kenne. Danke, Fräulein, liest sich gut, ist aber zu kurz. Noch ein Portrait über James Gandolfinis, Frühlingsklamotten, Paul Smith, ein Schnittmuster für ein Unisex-Hemd. Noch mehr Modefotos, die man sich gut angucken kann, mir aber zu künstlich sind. Nagellackfotos, auch schön zum Ausschneiden und an irgendwas drankleben.

Weil alle möglichen Promis Cartier tragen und weil die Story von Louis Cartier so toll ist, kann man jetzt wieder Cartier tragen (wenn man das Geld hat). Bikini-Fotos. Jetzt weiß ich, was Offergeld mit “Polarisieren” gemeint haben könnte. Die Models einfach mal mit gespreizten Beinen im Bikini an den Whirlpool setzen. Spricht mich jetzt nicht an.

Eine Handtuch-Fotostrecke, die damit eingeleitet wird, dass Thomas Manns Zauberberg zitiert wird. Eine Geschichte in der es auch um Handtücher und Hotelhandtuchklau geht. Danach Fotos von Menschen, die von Handtüchern verhüllt sind. Es folgt die Fotostrecke über das unbekannte deutsche, männliche Topmodel. Noch ne Modestrecke. Und noch eine. Halt nein, da steht Helmut Lang drunter, ist wahrscheinlich doch Kunst. Ah, ja, auf der Seite danach wieder Brüste. Irgendwann ist die Frau komplett nackt. Muss also eindeutig Kunst sein. Gemalte Bilder von Liz Taylor. Interview mit einer Frau, die irgendwie in der Fashionszene arbeitet. Die Frau meint, ich sollte als Must-Have einen Porsche 924 S und ein Schuharchiv in New York haben.

Dann kommt Streetstyle Sanaa. Ein Artikel, den ich noch lesen werde, könnte sich lohnen. Ein Bericht über Tschernobyl (die kritischen/für mich interessanten Sachen kommen also am Ende des Heftes). Fotos aus Tschernobyl. Kate Burkhart, die Frau, die die ganzen Liz Taylor Bilder gemalt hat, im Portrait. Coco Sumner, auch hier wieder vorgestellt als “die Tochter von Sting”. Warum gibt es in einigen Ländern die Todesstrafe noch? – eine philosophische Abhandlung anhand einer Iranerin.

Noch ein Portrait einer Modedesignerin, dieses Mal aus Wien. Die Rechtsanwältin von Julian Assange im Interview. Es geht aber mehr um Assange als um die Rechtsanwältin Jennifer Robinson. Ein Rezept für Käsekuchen. Angelina Jolie ist eine “Sexkrake” und hat außerdem Brad Pitt kaputt gemacht. Ein Horoskop (stelle jetzt die Regel auf, dass die Qualität von Zeitschriften anhand des Vorhandenseins von Horoskopen gemessen werden kann). Scheinbar bemitleide ich mich – laut Horoskop – selbst zu sehr und merke nicht, dass draußen die Sonne scheint. Wenn ich alleine entscheiden könne, sei ich am stärksten.

Ein Bericht über eine Autoimmunerkrankung. Und dann die komischsten zwei Seiten des ganzen Hefts. Überschrift “Der Fisch”. 20 Fische oder Meerestiere sind abgebildet und mir wird erklärt, welche ich besser kaufe und welche nicht.

Fazit: Der Preis ist okay. Es gibt schöne Fotos, aber auch welche, die ich mir eher ungern anschaue. Mir sind zuviele Portraits drin. Die Geschichten drehen sich fast immer um Personen, die mich nicht interessieren. Aber auf jeden Fall besser als Jolie, Maxi und Co.

Kommentare

Patrick sagt:

Gute Kritik … solltest Du mal dem Verleger und Chefredakteur schicken.
I like …

Und hier das Beste von Kritik und Zeitschrift, kurz auf den Punkt gebracht.
https://www.youtube.com/watch?v=3N_rNz2oAGA

[…] die letzte Ausgabe mit pinker Schrift aufwartete, kommt jetzt die nächste Trend- und Mädchenfarbe. Irgendein […]

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