* Die Überschrift stammt von der Seite eines gewissen F.C. Delius (bitte denken Sie sich jetzt jeden Fußballwitz, den Sie in Ihren Hirnwindungen finden können, Herr Delius hat’s meiner Meinung nach für diese Aussage nämlich verdient)
Kommen wir zum eigentlichen Thema dieses Post. Haaalt, stop, nein, erstmal schreiben wir hier eine lange Einleitung, wie es überhaupt zu diesem Post kam. Alle anderen können gerne auf “Weiterlesen” klicken oder bis zum Foto scrollen, da kommen wir dann wirklich zum eigentlichen Thema.
There used to be a time als ich noch keinen Fernseher und keinen Laptop mein Eigen nannte. Mühsam hatte man mir das Lesen und Schreiben beigebracht (das Wort Lineal schrieb und las ich trotzdem weiterhin Linjal) und ich las, ich las und las. Las die Fünf Freunde von Enid Blyton. Las Kinderbücher über Nazis (ich weiß wirklich nicht woher das kommt) und hatte deswegen die ganze Mittelstufe Langeweile im Deutschunterricht. Irgendwann kam der Fernseher, bald darauf mein Laptop (obwohl ich im Alter von 15 dann irgendwie doch der totale Spätzünder was das angeht war) und Bücher? Who cares about that shit?
Ich quälte mich in der Oberstufe durch den Lektüreschlüssel zu Emilia Galotti (ich verfluche das Stück heute noch, heiße ich seitdem bei einigen Menschen Charlotti Galotti), Brave New World, Macbeth, Irrungen & Wirrungen. Den Vorleser kannte ich schon (Sie fragen sich sicherlich nicht warum). Und eigentlich mochte ich lesen. Ich mag es eigentlich immer noch und so langsam wird’s wieder was. Angefangen hat das mit dem oben zitierten Herrn Delius, den ich irgendwann bei wikipedia entdeckte und eines seiner Bücher interessierte mich. Also gekauft. So und jetzt geht’s los mit meiner ersten Buchbesprechung.
[Achtung: was folgt, liest sich nicht mehr so heiter wie das Obige]
Dezember 1968. Ein Literaturstudent sitzt in Berlin vor einem Radio und hört, dass der Richter R. freigesprochen worden ist. Der Richter, der zusammen mit Roland Freisler (habe in mal in einer nichtrepräsentativen Facebookstudie herausgefunden, dass der anscheinend doch nicht so bekannt ist) für den Tod des Vaters seines besten Freundes verantwortlich ist. Der Literaturstudent zieht daraus eine emotionale Schlussfolgerung: Er muss R. bestrafen – mit dem Tod.
Man mag meinen, der Student käme bald wieder zu sich und würde auf den Weg des Pazifismus zurückkehren, aber dann hieße das Buch wohl nicht Mein Jahr als Mörder. Der Student beginnt nun damit, seinen Mord zu planen. Dazu studiert er die Geschichte Georg Groscurths, der der Vater seines besten Freundes ist. Die Geschichte ist eine Geschichte über den Widerstand in Nazideutschland. Groscurth gehörte der E.U., der Europäischen Union, an. Er half Juden, schrieb junge Männer wehruntauglich und half ganz einfach. Gleichzeitig war er der Leibarzt von Rudolf Hess. Delius beschreibt die Lebensgeschichte Groscurths en detail. Er beschreibt aber auch die Geschichte Anneliese Groscurths.
Anneliese Groscurth, die nach dem Krieg als Kommunistin diffamiert wurde, ihren Arbeitsplatz als Ärztin verlor, weil sie gegen die Wiederbewaffnung war. Ihr wurde der Status als Verfolgte des Naziregimes aberkannt. Das liest sich nüchtern, Delius beschreibt es aber mit der nötigen Wut, die während des Lesens auch auf mich überging. Die Ohnmacht, die ich bei der Geschichte von Anneliese und Georg Groscurth empfunden habe, scheint keine Grenzen zu kennen. Und Anneliese Groscurth verfiel keinesfalls in Ohnmacht, sie kämpfte, wie man nur kämpfen kann.
Wenn man diese Geschichte kennt, kann man die Mordpläne des Studenten durchaus nachvollziehen. Man fragt sich fast, warum er nur R. töten will.
Der Berliner Student forscht, findet immer mehr heraus, lässt dabei seine Beziehung und seine Freundschaften schleifen, klagt die Mutter an, klagt die BRD an und fühlt sich der Gesellschaft erhaben. Während des Jahres plant er den Mord und schreibt ein Buch über die Geschichte von Anneliese und Georg Groscurth. Die Geschichte ist so voller Zufälle, das man gar nicht glauben mag, dass sie wahr ist. Und das Ende ist (un)erwartbar traurig.
Mich hat dieses Buch trotzig und wütend zurückgelassen, aber vielleicht ist das eine Studentenkrankheit. F.C. Delius wuchs mit den Söhnen der Groscurths auf und ich frage mich, nachdem ich das Buch ausgelesen habe, wieviel Delius in dem Berliner Studenten steckt. Das Buch ist voll von Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten und damit ist nicht nur die Zeit des Nationalsozialismus gemeint.
Delius, Friedrich Christian, Mein Jahr als Mörder, 4. Auflage, Berlin 2011, rororo, Kostenpunkt in Deutschland: 8,99 Euro.
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